Dr. Peter Grewe En

Wechselspiel zwischen Fehlbiss und Fehlhaltung

Der Zusammenhang zwischen der Funktion des Kauorgans bzw. des kraniomandibulären Systems (CMS) und der Funktionalität des Bewegungssystems ist seit Beginn des vorigen Jahrhunderts bekannt und seit Mitte der 80er Jahre wissenschaftlich untersucht. 

Im Jahre 1991 (Plato u.a.) wurde beschrieben, dass die Veränderung der Funktionalität (Dysfunktion) der Wirbelsäule eine Veränderung der Lage des Unterkiefers und damit einen Fehbiss mit funktionellen Störungen im Kausystem verursachen kann. So fand Plato bei Patienten mit fortgeschrittener chronischer Erkrankung des Bewegungssystems eine Dysfunktion im Kauorgan

  • bei 87 % der Patienten mit Kopfschmerzen,
  • bei 85 % der Patienten mit Beckenbodenbeschwerden, 
  • bei 81 % der Patienten mit Bauchschmerzen,
  • bei 76 % der Patienten mit Schulter-, Nacken- und Brustschmerzen und
  • bei 46 % der Patienten mit Rückenschmerzen im Lendenwirbelbereich.

Mehr als zehn Jahre  später (2002, Kopp u.a.) gelang der Beweis, dass sich die Veränderung des Zusammenbisses der Zähne direkt auf die Stabilität und Beweglichkeit der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule auswirken kann und umgekehrt.

Es gibt funktionelle Verknüpfungen im Bewegungssystem ("Ketten") auf denen sich die Dysfunktion vorrangig beeinflusst und fortleitet. Eine wichtige verbindende Struktur zwischen den fehlfunktionierenden Körperebenen im Bewegungssystem (Fußsohlen-, Knöchel-, Knie-, Hüft-, Becken-, Bauch-, Rücken- Brust-, Schulter-, Hals-, Mundboden-, Kau- und Schädelebenen) sind die Bindegwebe (Fascien, Diaphragmen), welche die Muskulatur und Organe netzartig umgeben und ein einheitliches Ganzes darstellen. Die Ausbreitung der Funktionsstörung  kann zu Beginn der Erkrankung körperabwärts oder körperaufwärts oder in beide Richtungen "laufen". Da das Bindegewebe aber auch diagonal verlaufende Strukturen von einer Körperseite zur anderen enthalten, ist es nicht verwunderlich, dass die Störungen auch über die Körpermitte auf die andere Körperseite wechseln können. 

Bei lange anhaltenden Dysfunktionen liegt häufig eine Verkettung mehrerer Beschwerdebereiche auf verschiedenen Ebenen im Bewegungssystem (s.o.) vor. Die einzelnen Dysfunktion jeder betroffenen Ebene können bei langem Bestehen wieder  Auslöser neuer Störungen sein.  Somit läßt sich bei chronischen Schmerzen im Bewegungssystem nicht mehr feststellen, welcher Bereich der Auslöser ursprünglich war bzw. ob das Problem ursprünglich körperaufwärts oder körperabwärts bestand, rechts oder links. Die funktionsgestörten Körperebenen stehen über das Bindegewebe in Verbindung und beeinflussen sich wechselseitig. Dies erklärt warum die Beschwerden auch plötzlich von einer Ebene auf eine andere Ebene wechseln können. 

Somit kann es erforderlich sein, dass therapeutische Techniken der Manuellen Medizin in einem Körperbereich eingesetzt werden, obwohl dort strukturell bzw. funktionell keine subjektiven bzw. behandlungspflichtigen Befunde vorliegen. Das ist grundsätzlich z.B. bei chonisch tiefen Kreuzschmerzen angezeigt, indem man einen individuell angepassten Aufbissbehelf eingliedert und damit eine funktionell optimierte Rückentherapie erst ermöglicht. Gleiches gilt auch, wenn z.B. trotz Vorliegen objektiver Befunde im kraniomandibulären System der eingegliederte passive Aufbissbehelf oder der aktive Funktionsregulator nicht die gewünschte Befundänderung herbeiführt und erst durch systematisches manualmedizinisches Vorgehen an entfernteren Regionen des Körpers das Behandlungsziel erreicht wird.

Ziel einer therapeutischen Bisslageumstellung ist die Wiederherstellung einer ausgeglichenen Muskel- und Kiefergelenkfunktion mit ausgewogener Balance zwischen Anspannung und Entspannung der Kau- und mimischen Muskulataur und verbesserter Blut- und Lymphzirkulation. Eine wiederhergestellte physiologische Regulation der Muskelfunktion im Kiefer- und Gesichtsbereich  verhindert negative Einflüsse auf die Funktion der Schädelstrukturen und der Wirbelsäule und verbessert damit die biomechanische Therapierbarkeit von Fehlhaltungen und Funktionsstörungen im Bewegungssystem.

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